Eine andere Schweigeminute
Schweigen und Geläut von Freitag 5. März 21 dürfen unseren Blick nicht wieder einengen auf "Corona-Tote". Fast die ganze Bevölkerung unseres Landes ist von den Massnahmen des vergangenen Jahres schwer getroffen worden. Menschen mussten einsam sterben, und ein würdiger Abschied war vielen erschwert.
Pfarramt und Kirchgemeinderat sind der Meinung, dass die Zeit von Schweigen und Gebet allen Verstorbenen, aber auch allen Verunsicherten, Trauernden gelten soll. Darum schweigen unsere Glocken zuerst 10 Minuten und läuten dann für all jene, die (wieder einmal) vergessen gegangen sind.
Leiden hat viele Ursachen
Die Schweizer Bevölkerung zeigt – klarer als die Politik – ein Bewusstsein für ganzheitliches Wohlergehen. Gesundheit und Lebensqualität ist mehr, als frei zu sein von einem bestimmten Virus. Verzichten auf gelebte Beziehungen, auf Berührungen, auf Nähe, das schafft neue Formen des Leidens.
Aber leider sind es immer noch fast ausschliesslich Virologen, die als Experten für die gegewärtige Situation gelten. Dabei machen unsere nationalen Medien aufmerksam auf psychisches und soziales Leid, das sich breitmacht. Wenn Kinder und Jugendliche psychiatrische Betreuung brauchen, wenn ältere Menschen sich an den Rand gestellt fühlen, dann kann etwas nicht stimmen.
Viele ältere Menschen haben mehr Angst davor, allein zu sein und einsam sterben zu müssen, als an Corona zu erkranken. Das Sterben an Corona muss nicht qualvoller sein als ein anderer Tod. Wer denkt denn heute überhaupt an Menschen, die an Krebs sterben - und das vielfach in einem wesentlich jüngeren Alter als Corona-Betroffene?
Wir setzen ein Zeichen:
Jeder Tod ist gleich traurig.
Der Bund und die Landeskirchen rufen dazu auf, die bald 10'000 Corona-Verstorbenen in besonderer Weise zu behandeln. Genau das ist nun aber schon ein Jahr lang geschehen. Fast wäre vergessen gegangen, dass viele - viel mehr! - Menschen aus ganz anderen Gründen trauern.
Ein Gedenken, das einschliesst
Wenn die Statistik nicht trügt, dann sind im vergangenen Jahr 20’000 Menschen an Herz-Kreislauf-Krankheiten verstorben. 15’000 Menschen sind dem tückischen Krebs zum Opfer gefallen. Rund 6000 Menschen sind mit Demenz gestorben, 4000 bei einem Unfall oder Verbrechen ums Leben gekommen.
Auch das sind nicht nur blosse Zahlen, sondern Einzelschicksale. Sie haben es verdient, dass wir auch an sie denken. Denn sie sind es, die unter den täglichen Corona-Statistiken verschüttet worden sind. Sie mussten hinnehmen, dass ihre Spitalpflege komplizierter wurde, dass sie an ihrem Lebensende isoliert waren von ihren Liebsten. Und die Hinterbliebenen konnten vielfach nicht so Abschied nehmen, wie sie es sich gewünscht hätten.
Statt also ganz viele Betroffene auszuschliessen, möchten wir einschliessen. Wir schweigen länger, als es sich der Bundesrat vorstellt, nämlich 10 Minuten (12:00 – 12:10 Uhr) und läuten dann, wenn die übrigen Glocken schweigen. Wir setzen ein Zeichen: Jeder Tod ist gleich traurig.
Ein Läuten der Hoffnung
Die Kirchenglocken schlagen und läuten meist zu ganz alltäglichen Zeiten. Sie erinnern uns daran, dass unser Leben vergänglich ist. Daran sollten wir uns jeden Tag erinnern. Wer sein Ende bedenkt, lebt gegenwärtiger und intensiver.
Gleichzeitig ruft uns die Botschaft von Christus dazu auf, den Tod nicht als das Letzte zu fürchten. Die Auferstehung, die wir an Ostern feiern, macht uns Hoffnung. Bei Gott sind unsere Tage auf dieser Erde nicht verloren und vorbei.
Es ist uns bewusst, dass nicht alle Menschen diesen Glauben teilen. Wir hoffen aber, dass wir mit einem Zeichen, das einschliesst und nicht ausschliesst, allen Menschen, die unsere Glocken hören, ein bisschen Zuversicht in eine schwierige Zeit vermitteln können.